Dr. Victor Aronstein zum 125.

30. Oktober 2021

Dr. Victor Aronstein in seiner PraxisEs war sein 45. Geburtstag, an dem der Arzt Dr. Victor Aronstein (01.11.1896 – 13.01.1945) am 1. November 1941 zusammen mit seiner langjährigen Sprechstundenhilfe und Lebensgefährtin Lotte Korn von der Gestapo aus seiner Kreuzberger Wohnung abgeholt und zum Bahnhof Grunewald verschleppt wurde. Der Zug brachte sie und weitere 1000 Jüdinnen und Juden ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz). Angebote ehemaliger Patienten, ihn zu verstecken, hatte er ausgeschlagen.

In Margonin (Posen) geboren, kam Victor Aronstein zu Beginn des 20. Jahr-hunderts mit seiner Familie nach Berlin-Friedrichshain, besuchte das Köllnische Gymnasium in der Wallstraße und wurde 1915, noch ohne Abschluss, Soldat im 1. Weltkrieg. 1917 verwundet, legte er am Sophien-Gymnasium in der Weinmeisterstraße sein Abitur ab und studierte dann  an der Charité Medizin. Nach Approbation (1926) und Promotion (1927) sammelte er erste Berufserfahrungen in Birkenwerder bei Berlin.

Seine Zulassung als Kassenarzt für Hohenschönhausen erhielt er 1933. Hier hatte Victor Aronstein seine Praxis zunächst in der Bahnhofstraße 1, dann in der Berliner Straße 126 (heute Konrad-Wolf-Straße). Zum Jahreswechsel 1936/37 wurde ihm die Praxis gekündigt. Mit Hilfe von Patienten konnte er wenig später die Wohnung in der Werneuchener Straße 3 beziehen, in der neben Lotte Korn auch die jüdische Ärztin Dr. Charlotte Perl Unterschlupf fand. Charlotte Nowack, eine langjährige Freundin, wusste zu berichten: „Die ganzen Mieter in dem Hause Werneuchener Straße haben zu Dr. Aronstein gestanden. Wenn ich es nicht getan hätte, dann hätten sie ihn genommen. Alle kannten ihn, keiner hat izhn verraten. Kurzfristig, wenn wir wussten, dass die nazis kommen, haben wir ihn … oben … versteckt. Unten war ein Zimmer, das hat der Hauswirt gegeben. Sie haben ihn bedroht, wenn er dem Juden hilft. Aber der Hauswirt hat ihn trotzdem genommen und gesagt: Mein Haus gehört mir, und ich nehme den, den ich will. Ob er Jude ist, spielt keine Rolle. Er hat alles bezahlt, und da bleibt er.“

1938 wurden die Repressalien gegen jüdische Ärztinnen und Ärzte verschärft. Ab dem 30. August durfte sich Dr. Victor Aronstein nur noch „Krankenbehandler“ nennen und nur noch Jüdinnen und Juden behandeln. Er verlor sein Auto, das er für Hausbesuche benötigte und schließlich 1939 auch seine Wohnung. Er verließ Hohenschönhausen und zog zu seinem Schwager in die Kreuzberger Zimmerstraße 48 b. Mit seinen Ersparnissen ermöglichte er seinen Schwestern und ihren Familien die Ausreise nach Chile und in die USA. Auch Victorn Aronstein wollte nach Chile emigrieren, doch seine finanziellen Mittel waren aufgebraucht und er konnte 1940 die fällige „Reichsfluchtsteuer“ nicht mehr bezahlen.

Im Ghetto Litzmannstadt (Lodz) praktizierte Victor Aronstein als Arzt im Ghetto-Krankenhaus und bemühte sich, trotz schwierigster Verhältnisse seinen Mitmenschen zu helfen. Aus dieser Zeit ist nur wenig bekannt. Im März 1942 heiratete er Lotte Korn, Ein letztes Lebenszeichen erhielt Charlotte Nowak im August 1943. Danach verlieren sich seine Spuren zunehmend. Wahrscheinlich Ende 1944 wurden Victor Aronstein und seine Frau nach Auschwitz verschleppt. Nach Aussage eines Kölner Arztes starb er am 13. Januar 1945 an Lungen-TBC, kurz bevor die Rote Armee das Lager befreite. Andere Überlebende berichteten, er sei in den Gaskammern von Auschwitz ermordet worden. – Über den Tod Lotte Korn-Aronsteins ist nichts bekannt.

Die Gedenktafel am Haus Werneuchener Straße 3 wurde im Rahmen des Berliner Gedenktafelprogramms am 27. Januar 1996 enthüllt. Sie ersetzt eine Tafel aus den fünfziger Jahren, auf der es hieß: „Ein Helfer der Menschheit wurde das Opfer der Umnenschlichkeit“. Ein Seniorenheim in der Liebenwalder Straße trägt den Namen Victor Aronsteins. In Berlins Mitte, in der Zimmerstr. 48 b, erinnern seit 2020 Stolpersteine an ihn und seine Schwestern Bertha und Hertha.

Literatur:
Friedrich, Thomas / Fuchs, Daniela / Hübner, Christa: „Victor Aronstein. Gedenkschrift zum 100. Geburtstag am 1. November 1996.“ Biographische Forschungen und Sozialgeschichte e.V. (Hrsg.), Berlin 1996

Weblinks:
Museum Lichtenberg
Sunday News, 08.06.2013